Julia Franck - Die Mittagsfrau
Ein schöner Roman über die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Er beginnt mit einem Prolog, der zeitlich zwischen die Haupthandlung und den Epilog gehört, wie man später feststellt. Die Erzählerin ist die jüngere zweier Schwestern aus Bautzen, die sich sehr lieben und in Bautzen mit einer leicht geistesgestörten Mutter und einem nach dem ersten Weltkrieg sterbenden Vater aufwachsen. Helene ist neun Jahre jünger als Martha, aber sie halten zusammen. Beide lernen Krankenschwester und auf Einladung ihrer Tante Fanny ziehen sie nach Berlin, um der häuslichen Enge und Armut zu entkommen. In Berlin lockt das aufregende Leben, die Tante hat zumindest anfangs ausreichend Geld und Marthas Leben besteht überwiegend aus Party und Drogen, während die schlaue Helene viel liest und sich bildet. Mit ihrem neunzehnten Geburtstag beginnt aber auch für sie das Partyleben, sie lernt einen Studenten kennen, in den sie sich verliebt. Die Beziehung ist zu schön, um glücklich enden zu können. Aber beide Schwestern und die Freundin Leontine, Ärztin, schlagen sich recht gut durchs Leben. Es ist das leben emanzipierter, selbständiger Frauen. Problematisch wird dann die Zeit im dritten Reich, denn die Mutter von Martha und Helene ist Jüdin. Ein Verehrer verhilft Helene zu einer neuen Identität, heiratet sie und sie ziehen weg von Berlin. Damit wird Helene nicht glücklich, sie will kein Kind und vermißt ihre Schwester sowie generell den Kontakt zu anderen Menschen, den sie nun als Hausfrau kaum noch hat. Zumal sie mit ihrem Ehemann nicht wirklich glücklich ist, er behandelt sie schlecht und kehrt nach dem Krieg auch nicht zu ihr zurück. Helene will zurück zu Martha, die einzige kontinuierliche Liebe in ihrem Leben und verläßt dafür sogar ihren Sohn, dessen Liebe sie nicht erträgt und der bei Onkel und Tante unterkommt und viele Jahre später seine Mutter auch nicht wiedersehen will, als sie es eines Tages anstrebt. Sein Leben ist wie das seiner Mutter schief gelaufen, es gibt nichts geradezurücken.
Eine wunderbare Beschreibung des Berlins der zwanziger Jahre, gut geschrieben und flüssig zu lesen. Das Ende ist relativ offen, aber es geht in dem Roman auch nicht um das Ende, sondern die Geschichte als ganzes fesselt einen.
Der Titel wird nur sehr kurz erwähnt und ist in meinen Augen nicht gut gewählt, auch die Form mit Prolog und Epilog ist für mich nicht schlüssig. Dennoch ein spannendes Buch.
21.11.07