Thomas Mann - Doktor Faustus
s.a. KLL
Der letzte große Roman von Thomas Mann, geschrieben in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs, behandelt das Faust-Thema, aber auch viel Nietzsche-Philosophie und eine damalige musikalische Neuheit, die Zwölftontechnik von Schönberg. Das „Leben des deutschen Tonsetzer Adrian Leverkühn“ wird von Dr. phil. Serenus Zeitblom erzählt, der ein Jugendfreund der Hauptperson ist. Dadurch beschreibt der Roman einen großen Zeitraum, nämlich von 1885 bis 1945, weil Zeitblom viel zum aktuellen Zeitgeschehen in Deutschland sagt. Diese äußere Form, das Leben nicht zu erzählen, sondern erzählen zu lassen, macht eine heiterere Aufarbeitung des düsteren Stoffes möglich. Adrian stammt aus einfachen, ländlichen Verhältnisse (auch wenn sein Vater einen Hang zu chemischen Experimenten hat), geht dann in der Stadt zur Schule und absolviert diese dank seiner großen Intelligenz mit großem Erfolg, der ihm aber unwichtig ist. Er entdeckt die Musik, die seine Leidenschaft wird, auch wenn er sonst ein kühl-rationaler Mensch ist. Er beginnt ein Theologiestudium, daß er dann aber doch zugunsten der Musik und dem Komponieren aufgibt. Die Musik macht ihm insofern Probleme, als daß er fühlt, daß sich das musikalische Material über die Jahrhunderte erschöpft hat und es notwendig ist, etwas ganz Neues zu kreieren. Das tut er dann mit der Zwölftontechnik.
Schon im Studium begegnet Adrian dem Teufel, in Form eines Stadtführers, der ihn am Ende der Führung in ein Bordell geleitet. Adrian flieht, aber das zarte Streicheln seiner Wange durch Esmeralda bleibt ihm in Erinnerung, er reist ihr eines Tages nach und steckt sich trotz ihrer Warnung vor ihrem Syphilis-kranken Körper an. Damit begrenzt er natürlich seine Lebenserwartung. Später begegnet er dem Teufel persönlich/ im Traum, wo der Pakt von Adrian widerstrebend mehr oder weniger besiegelt wird. Die Bedingung für die vom Teufel verliehene künstlerische Genialität ist außer dem verkürzten Leben und der Seele auch, daß Adrian nicht lieben darf.
Nach einer gewissen Zeit in München, wo Adrian und der Erzähler in den Salons der Stadt verkehren und Thomas Mann die dortige Gesellschaft karikiert, geht Adrian nach Italien, weil er für sein Schaffen eine neue Umgebung braucht, während der Erzähler in Freising Lehrer bleibt. Adrian hat dort aber einen alten Freund, einen Literaten bei sich. Die letzte und längste Station ist dann sein Leben in Pfeiffering, eine Stunde von München entfernt, wo er auf einem einsamen Hof lebt und arbeitet.
Höhepunkt seines Schaffens ist hier „Dr. Fausti Weheklag“, ein Oratorium, dessen Entstehung durch die Liebe zum fünfjährig qualvoll sterbenden Neffen Nepomuk geprägt wird – hier fordert der Teufel sein Tribut für die verbotene Liebe genauso wie in einem weiteren Fall: Adrian freundet sich immer enger mit Rudi Schwerdtfeger an, Geiger von Beruf. Als er eine junge Frau zu seiner Gattin machen will, schickt er Rudi als Boten hin. Die junge Dame will aber nicht Adrian, sondern Rudi und verlobt sich mit ihm, weswegen dieser von seiner alten Geliebten erschossen wird (dieses Art der Brautwerbung findet sich bereits bei Shakespeare und kommt auch in Nietzsches Leben vor). Adrian verliert außer der Frau seinen Freund. Daß die Freundschaft zum Erzähler Serenus für den Teufel kein Hindernis ist, liegt wohl an der oft betonten humanistischen „Steifheit“ des Serenus, die keine Liebe zuläßt. Eines Tages lädt Adrian die ihm nahstehenden Personen ein, um ihnen aus seinem Oratorium vorzuspielen. Er legt dann aber eine Lebensbeichte ab, erzählt von seinem Pakt mit dem Teufel und wird (natürlich) für verrückt gehalten. Beim ersten Akkord, den er spielt, erleidet er einen Zusammenbruch, aus dessen geistiger Umnachtung er bis zu seinem Tod einige Jahre später nicht mehr aufwacht. Eine solche Lebensbeichte findet sich auch in der mittelalterlichen Faust-Geschichte.
In den Disputen des Romans (z.B. unter den Studenten) kommen die Philosophien von Adorno, Hegel, Marx und Freud zur Sprache, allerdings nicht kenntlich gemacht, sondern in den Text eingewoben. Auch werden an vielen Stellen musiktheoretische Erklärungen gegeben, die meist auf Schönberg zurückgehen und von Adornos Mithilfe sowie dessen Schrift "Von der Philosophie der Neuen Musik" beeinflußt wurden.
Der Roman ist sehr schwierig und liest sich zäh, zudem ist er mit über 650 Seiten auch sehr lang und nur echten Thomas Mann-Fans oder besonders bildungsbeflissenen Lesern zu empfehlen. Aber gerade am Ende wird das Buch wieder gut, so daß vorherige lange Mühen belohnt werden.
Im Tagebuch „Die Entstehung des Doktor Faustus“ findet sich einiges Hintergrundwissen über den Roman und das Verarbeitete, sowie die Umstände unter denen er geschrieben wurde: Häufige Krankheit von Thomas Mann und wie sehr ihm das Thema zu Herzen geht, fallen auf.
7.9.2004