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Thomas Mann - Joseph und seine Brüder

Diese umfangreiche Roman von Thomas Mann gehört zu meinen Lieblingsbüchern. Er erzählt die biblische Geschichte (1. Mose, Kap. 27-50) von Jaakob (stets in dieser Schreibweise) und seinen Söhnen, insbesondere Joseph, ausgeschmückt nach. Für den Teil in Ägypten hat Mann dazu mehrere Reisen an den Nil unternommen und über die alten Kulturen ausführlich recherchiert. Da der Inhalt bekannt sein dürfte bzw. nachlesbar ist, will ich an dieser Stelle nur ein paar Gedanken ausführen, die mir im Laufe der (mehrfachen) Lektüre kamen.

In Anlehnung an Wagners "Ring" beginnt der vierbändige Roman mit einem Vorspiel: Höllenfahrt. Der schöne erste Satz lautet: Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen? Diese Einleitung führt den Grundgedanken aus, der sich durch den ganzen Roman zieht: Alles ist schon einmal dagewesen und kommt wieder, es gibt keinen Beginn der Geschichte, wie weit man auch zurück forscht. Thomas Mann wählt einfach einen Anfangspunkt bei Jaakob und erwähnt andeutungsweise die Vorgeschichten von Abraham und Isaak. Dadurch entsteht ein Gefühl des Andauernden, nicht zu Ende Gehenden, die Geschichte währt fort. Immer wieder betont er, daß es keine Geschichte von vier Generationen ist, sondern es immer wieder Abrahams und Isaaks und Jaakobs gegeben hat und man nicht mehr weiß, welche im einzelnen die bekannten Geschichten erlebt haben.

Zweimal fährt Joseph wegen seiner Verfehlungen in die Grube, zweimal taucht ein Engel (der nicht als solcher benannt wird, aber für Eingeweihte erkennbar ist) als Führer auf, alles kehrt wieder.

Im vierten Hauptstück („Der Träumer“) des zweiten Bandes schenkt Jaakob Joseph ein edles Gewand anläßlich eines religiösen Festes. Hierbei ist interessant, daß er das Pessach-Fest beschreibt, dessen Zeremonien Moses aber eigentlich erst vierhundert Jahre später von Gott vorgeschrieben bekommt. Ich könnte mir vorstellen, daß Thomas Mann auch hier zeigen will: Es ist alles bereits dagewesen.

Anspielungen an das neue Testament finden sich in dem Engel, der am Brunnen sitzt, als Ruben hinter dem Rücken der anderen Brüder Joseph retten will, dieser aber nicht mehr in der Grube ist, was der Engel ihm mitteilt - wie bei der Auferstehung Jesu. Joseph fährt in die Grube und beginnt daraus ein neues Leben, hierbei wird der Vergleich gezogen mit dem Samenkorn, das sterben muß, um weiterzuleben.

Trotz der Länge des Romans (in der Fischer-Taschenbuch-Ausgabe gut 1800 Seiten) wird das Lesen nicht langweilig, weil auch unglaublich viel passiert. Der Vers Und es begab sich danach, daß seines Herrn Frau ihre Augen auf Joseph warf und sprach: Lege dich zu mir! (1. Mose 39, 7) wird auf hundert Seiten ausgedehnt, schließlich muß Mut-em-Enet Joseph erst einmal bemerken, dann Wohlgefallen an ihm finden und dann nach und nach ihre Hemmungen verlieren, ihm (vergeblich) ihre Liebe anzutragen.

Wenn man Zugang zu einem Buch mit den ägyptischen Reliefs und Büsten hat, die Mann als Vorbilder für die Figuren nimmt, wird das Buch ganz besonders lebendig. Ich leugne aber nicht, daß die Sprache ungewohnt und manchmal umständlich ist. Hat man sich in den Stil eingelesen, fühlt man die Kunst, mit der die Geschichte geschrieben ist und daß der Stil zu diesem Roman  unzertrennlich dazugehört. Alles in allem finde ich es ein großartiges Buch – und halte Jaakob für den wahren Held der ganzen Geschichten und nicht Joseph (was sich objektiv natürlich auch daran zeigt, daß die drei Urväter der Juden Abraham, Isaak und Jaakob sind, nicht aber Joseph).

26. Mai 2006

August 2006 in Rom