Melinda Nadj Abonji - Tauben fliegen auf
Der Roman wurde in der ZEIT als interessanter „Einwandererroman“ angepriesen. Nun kenne ich mich mit dem Ein- oder Auswandern nicht gut aus, aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Erlebnisse der Ich-Erzählerin die Realität vieler Menschen in Deutschland oder der Schweiz (dort spielt das Buch) widerspiegeln.
Die Eltern der Ich-Erzählerin Ildiko und ihrer Schwester Nomi sind Anfang der 1970er Jahre aus der Vojvodina an den Zürcher See gezogen und die Kinder konnten einige Jahre später hinterherkommen. Die Familie ist fleißig und gut integriert, wird auch irgendwann eingebürgert und betreibt nach zwanzig Jahren eine gute Cafeteria in einem kleinen, wohlhabenden Ort nahe Zürich. Sowohl das Leben dort wie auch die Heimatbesuche werden ausführlich geschildert. Für die Mädchen ist es immer ganz wichtig, dass sich nichts verändert hat, wenn sie in der alten Heimat sind – weil sie sich dort genauso zu Hause fühlen (oder gar mehr?) als in der Schweiz, und daher nichts verpassen wollen. Dennoch sind sie ganz modern-westlich aufgewachsen und können mit einigen Familientraditionen nicht mehr viel anfangen. Sie stehen sich sehr nahe. Ildiko studiert eigentlich, arbeitet faktisch aber überwiegend im Betrieb der Eltern mit und schafft es erst am Ende des Buches, sich davon zu lösen und von zu Hause auszuziehen.
Das Buch ist sehr einfühlsam geschrieben, insbesondere als in Jugoslawien in den Neunziger Jahren der Krieg ausbricht und ganz nah an die Familie herankommt, weil die Cousins zum Militär müssen, habe ich mit den Personen mitgelitten. Die Fronten verlaufen leider auch in der Schweiz entlang der Glaubens- oder Völkergrenzen, d.h. die Angestellten im Café, die auch aus Jugoslawien stammen, können plötzlich nicht mehr miteinander. Auch die Familienstreitereien zwischen den Anhängern des Kapitalismus und den Zuhausegebliebenen, die ihr Leben normal finden und daher den Kommunismus (oder als was man es bezeichnen will) nicht so schlimm, kann man gut nachvollziehen. Es geht jeweils um die Deutungshoheit über das eigene Leben. So ist im Alltag in der einen oder anderen Form stets ein Bezug zur alten Heimat gegeben – die Personen sitzen zwischen den Stühlen, so gut sie auch integriert sein mögen. Selbst wenn man wollte, man würde seinen Hintergrund nicht los.
Das Buch ist sehr zu empfehlen für Menschen, die sich für unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund und deren Leben interessieren und es zeigt, wie subtil Rassismus auftreten kann. Das einzige, was mir nicht so gut an dem Buch gefällt, ist der Schreibstil, der innere Monologe mit ungekennzeichneter direkter Rede verbindet – oft ein fast atemloser Wortschwall, das ist etwas speziell. Dass die einzelnen Kapitel in der Zeit vor und zurückspringen ist vermutlich modern und üblich, ich finde es manches Mal verwirrend.
28. September 2014