Joseph Schumpeter - Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung
Dieses Buch von 1911 ist eines der grundlegenden und wichtigsten der Wirtschaftswissenschaften. Wenn man es liest, kommt einem das meiste bekannt vor, denn die von Schumpeter erarbeitete Theorie ist in großen Teilen Allgemeingut geworden. Man muß sich beim Lesen also bewußt machen, wie der Stand der Wissenschaft vor hundert Jahren war, um die Bedeutung des Werkes richtig einzuschätzen. Es war sehr interessant zu lesen, eine ausführlichere Wertung des Buches möchte ich mir hier aber nicht anmaßen, weswegen ich im folgenden nur das Wichtigste zusammenfasse.
Er beginnt damit, die statische, geschlossene Volkswirtschaft zu beschreiben und die wichtigsten Begriffe einzuführen, ganz besonders die Produktionsfaktoren Arbeit und Boden, die er für gleichwichtig erachtet. Die Wirtschaft ist ein Kreislauf, alle produzieren und konsumieren und die Erfahrung lehrt die Art und Menge der Güter. Produzieren ist hierbei die Kombination von Dingen und Kräften. Gewinne gibt es in der statischen Wirtschaft nicht.
Nun lehrt die Erfahrung aber, daß es eine Entwicklung gibt, vor allem ausgelöst durch äußere Faktoren wie die Bevölkerungszunahme. Diese sind graduell. Echte Entwicklung in seinem Sinne ist spontan der Wirtschaft entspringende und diskontinuierliche Veränderung. Es geht Schumpeter nicht um die Veränderungsfaktoren, sondern die dahinterliegenden Mechanismen.
Sprunghafte Veränderungen entstehen auf der Angebotsseite durch die Andersverwendung des Produktionsmittelvorrats, das Durchsetzen „neuer Kombinationen“ (heute würden wir „Innovationen“ sagen). Davon gibt es fünf verschiedene: a) neue Produkte, b) neue Prozesse, c) neue Absatzmärkte (z.B. in anderen Branchen), d) neue Bezugsquellen für Rohstoffe, sowie e) neue Organisationsformen (z.B. Durchbrechen eines Monopols – heutzutage werden auch innerbetriebliche neue Organisationsformen dazugezählt). Dafür sind Kredite (oder sozialistische Befehlsgewalt) nötig, also der Entzug von Mittels aus der bisherigen Produktion. Durchgeführt werden die neuen Kombinationen aktiv vom Unternehmer. Diese Funktion können auch Angestellte einnehmen. Umgekehrt gibt es Selbständige, die keine Unternehmer sind. Der Unternehmer ist oft auch nicht identisch mit dem Erfinder. Schumpeter geht davon aus, daß nur wenige Menschen zu spontanen Veränderungen in der Lage sind, weil viele Trägheitskräfte entgegenwirken, individuelle und gesellschaftliche. Das Überwinden dieser Widerstände ist eine besondere Aufgabe, die eben nur manche durchführen können. Die Motivation des Unternehmers sind nicht höhere Konsumbedürfnisse, sondern 1. der Wunsch, etwas Eigenes zu schaffen, das Machtgefühlt gibt und Freiheit schafft (den sozialen Aufstieg sieht Schumpeter als die wichtigste Motivation), 2. der Siegerwille: wirtschaftliches Handeln als Sport; und 3. der Spaß an Veränderungen, Schwierigkeiten und Neuschöpfung.
Danach erklärt Schumpeter Kredit und Kapital und den Markt dafür. Der Kredit dient der wirtschaftlichen Entwicklung, er ist Kaufkraftschaffung. „Die Funktion des Kapitals liegt darin, jene Güter, welche produktiv verwendet werden sollen, dem Unternehmer zu verschaffen.“ Er plädiert dafür, den Banken bei der Kreditvergabe Grenzen zu setzen. Die Einlösung des Kredits geschieht durch Güter und was darüber hinausgeht, ist der Unternehmergewinn. Kredite sind Kapital für den Unternehmer, den Eigen- und Fremdkapital dienen dem gleichen Zweck und sind deshalb bei der Buchführung auch gleichermaßen Passiva. Er führt hier also das Kapital als dritten Produktionsfaktor ein.
Das vierte Kapitel ist dem Unternehmergewinn gewidmet. Wenn man von den Erlösen den „Ausgang“ (wir würden heute Ausgaben bzw. Kosten sagen) abzieht, erhält man den Unternehmergewinn. Im Ausgang sind Arbeitsleistung des Unternehmers, Zins für Boden und Kredite etc. schon enthalten. Das Risiko der neuen Kombinationen trägt der Geldgeber und nicht der Unternehmer, wobei das aber die gleiche Person sein kann. Der Unternehmergewinn wird durch das Entstehen eines neuen Gleichgewichts eliminiert, aber zunächst existiert er und ist Voraussetzung für Entwicklung. Die Größe des Gewinns ist nicht so fest bestimmt wie die Größe der Einkommen, weil es hier keine „Grenzproduktivität“ gibt.
Als nächstes erklärt Schumpeter ausgiebig das Phänomen des Zinses, was darunter fällt und was nicht. Dabei geht er auf viele andere Theoretiker ein. Im statischen Kreislauf gibt es keinen nachhaltigen Zins, der Produktivzins entsteht erst aus der Entwicklung. Er ist Teil des Unternehmergewinns und haftet nicht an konkreten Gütern. Würden Unternehmer stets schon über die nötigen Produktionsmittel verfügen, würde sich auch kein Zins zeigen. Er ist der Preis für Kapital, also für Kaufkraft. Bestimmt wird er wie es auch auf anderen Märkten der Fall ist durch Angebot und Nachfrage. Der Grenznutzen des Kapitalisten ist auf dem Kapitalmarkt gleich dem Grenznutzen des Unternehmers. Schumpeter geht von der Möglichkeit unendlichen Wachstums aus. „Die Nachfrage nach Kapital erzeugt immer neue Nachfrage aus sich heraus.“ Hohe Zinsen sind ein Zeichen für prosperierende Volkswirtschaften. Wenn in hochentwickelten Volkswirtschaften der Zins meist niedriger ist als in weniger entwickelten, liegt das an dem geringeren Risiko und der ausgebildeteren Technik in den ersteren.
Das letzte Kapitel ist der Konjunktur gewidmet. Krisen haben verschiedene Auswirklungen und Ursachen und sind nicht unbedingt rein wirtschaftliche Erscheinungen, prägen aber die wirtschaftliche Entwicklung. Schumpeter analysiert die rein wirtschaftlichen Krisen und sieht den Grund darin, daß die Durchsetzung neuer Kombinationen in der Zeit nicht gleichmäßig verteilt ist, sondern sie scharenweise auftreten. Sie hängen voneinander ab, weil das Auftreten eines oder weniger Unternehmer das Auftreten weiterer erleichtert. Die neue Nachfrage des Unternehmers erzeugt eine sekundäre Aufschwungswelle, die bis zur spekulativen Antizipation führen kann. Wenn aber viele neue Kombinationen auftreten, ist auch das Risiko des Irrtums oder Fehlgriffs groß. Parallel gibt es Imitatoren, die das Angebot zusätzlich ausweiten. Sie lassen die Gewinne sinken, es gibt keine neuen Unternehmer mehr, weil ja nicht alle Menschen als Unternehmer geeignet sind und die neuen Unternehmen machen sich gegenseitig und den alten Konkurrenz. Zudem tilgen die Gewinne einfahrenden Unternehmer ihre Schulden und dem Aufschwung folgt irgendwann eine Depression. Diese führt aber nicht zum alten Gleichgewicht zurück, sondern zu einem neuen mit mehr oder besseren Gütern und geringeren Produktionskosten. Was zunächst Unternehmergewinn war, vermehrt schließlich die dauernden Realeinkommen. Dies ist die positive Seite der Depression.
7. Dezember 2006