Wolf Jobst Siedler - Ein Leben wird besichtigt
Autobiographie
des Verleger W.J. Siedler; der Titel ist angelehnt an Heinrich Manns Biographie
„Ein Zeitalter wird besichtigt“
Die Kindheit und Jugend im Dritten Reich wird anschaulich geschildert. W.J. Siedler wird in Dahlem geboren und wächst dort behütet auf, die Weimarer Republik vergeht unwissentlich und als der Krieg beginnt, sind im ruhigen Dahlem Flaksplitter etc. begehrte Tauschobjekte. Siedler scheint ein anstrengendes Kind zu sein und wird in das Internat Ettersheim (Hermann-Lietz-Schule) in Thüringen geschickt. Dort fühlt er sich recht wohl und die Schule ist eine strenge, aber letztlich auch behütete Welt. Zwar geht man zur Hitlerjugend, aber trotzdem bleiben die nationalsozialistischen Gedanken weitgehend draußen. Er freundet sich mit Ernst Jünger, Sohn des gleichnamigen Schriftstellers, an. Die Oberstufe der Hermann-Lietz-Schule ist in Spiekeroog untergebracht, wo beide während des Krieges zur Schule gehen, parallel dazu aber auch zu Marinehelfern ausgebildet werden. Siedler und Jünger fallen als Schüler auf, es ist eine Mischung aus Intelligenz und Unangepaßtheit, die sie zu Außenseitern macht (m.E. sind berühmte oder „wichtige“ Leute fast immer schon in ihrer Kindheit etwas Besonderes). Wegen einer nazifeindlichen Aussage kommen sie ins Wilhelmshavener Gefängnis, werden dann aber begnadigt, um an der Front zu kämpfen. Diese ganze unglückliche Situation läuft für sie letztlich glimpflich ab, da sich offensichtlich immer irgendwelche Verbündete oder Fürsprecher – über die beiden Väter, die Generäle kennen – finden, die ihnen die Strafe mildern.
Nach einer kurzen Ausbildung in einer Kaserne in Salzwedel kommen die Jungen an die Front. Jünger kommt dabei ums Leben, Siedler hat Glück, daß er in Italien früh verwundet wird und damit den Krieg überlebt. Er gerät in britische Gefangenschaft, die er erst in Italien und dann in Afrika verbringt und in der es ihm relativ gut geht: Er hat Essen, bekommt schnell eine besondere Stellung unter den Gefangenen und darf am Schluß noch in der von Briten und Amerikanern eingerichteten Entnazifizierungsakademie Vorlesungen hören. Die Eltern in Berlin dagegen haben mit Hunger und Kälte zu kämpfen.
Sein (wegen der Verurteilung nicht abgelegtes) Abitur bekommt er nach dem Krieg von seinem ehemaligen Direktor bestätigt, so daß er in Berlin zu studieren anfangen kann. Schnell kommt er aber in Kontakt mit Zeitungen und Verlagen und beginnt sein Berufsleben.
Schön ist an diesem Buch der angenehme Stil und die ehrliche Erinnerung: Vieles ist ihm entfallen, dafür berichtet er so manche Nebensächlichkeit, die sich ihm tief eingeprägt hat. An vielen Stellen ist das Buch auch zum Schmunzeln und daher zu empfehlen, wenn man sich dafür interessiert, wie junge Menschen das Dritte Reich und den Krieg erlebt haben.
30. August 2004