Alexander Solschenizyn - Der Archipel Gulag
Von diesem monumentalen Werk habe ich die ersten vier Teile (das sind zwei von den drei Bänden bzw. knapp 1300 Seiten) im Urlaub gelesen. Da es wirklich schwere Kost ist, kann ich nur empfehlen, das Werk im Urlaub oder einer entspannten Phase zu lesen.
Solschenizyn beschreibt die grausamen Lager und Gefängnisse in der Sowjetunion zu Lenins und Stalins Zeiten. Der Archipel Gulag ist einerseits ein Sachbuch, andererseits eine Anklage an Stalin gerichtet und zu guter Letzt auch ein Mahnmal für die Opfer des Stalinismus. Über dem Buch steht: „All jenen gewidmet, die nicht genug Leben hatten, um dies zu erzählen“. Verschiedene Themen werden in einzelnen Kapiteln abgehandelt, so dass es weder eine chronologische Darstellung noch eine Erzählung mit fortlaufende Handlung ist.
Im ersten Teil geht es um die Gefängnisse, die Methoden der Verhaftung und der Verhöre inklusive Folter und es wird beschrieben, wie sich das sowjetische „Strafgesetz“ entwickelt hat. Ausführlich wird der Paragraph 58 vorgestellt, der alle politische Vergehen zusammenfasst und unter den die meisten Gefangenen fielen. Das Strafmaß, das bis zum 2. Weltkrieg meist 10 Jahre betrug, wurde später auf 25 Jahre hochgesetzt. Der zweite Teil, „Ewige Bewegung“ beschreibt den Transport der Gefangenen zu den Lagern und zwischen ihnen, denn viele wurden hin- und hergeschoben, zum Beispiel jeweils dorthin, wo wichtige Baustellen gerade Arbeiter benötigten. Erst im dritten Teil wird die Lagerarbeit selbst behandelt. Das erste Arbeitslager entstand auf einer Insel im Weißen Meer, aber schon sehr schnell nach der Oktoberrevolution wurden im ganzen Land Lagerpunkte eingerichtet. Der Titel des Werkes beschreibt nicht einen konkreten Ort, sondern das ganze System von Lagern, die als Inseln im Land errichtet wurden. Solschenizyn schätzt, das 8% der Sowjetischen Fläche von Lagern genutzt wurde. Viele große Bauwerke wurden mit Gefangenen errichtet, der Weißmeer-Ostsee-Kanal und auf weiten Strecken ein zweites Gleis der Transsibirischen Eisenbahn zum Beispiel.
Der dritte Teil ist der längste, denn neben der Lagerarbeit, dem Hunger und dem Elend werden auch den verschiedenen Häftlingsgruppen (z.B. Frauen, Kinder, Kommunisten) eigene Kapitel gewidmet. Insbesondere wird zwischen den politischen und den kriminellen Häftlingen unterschieden: Erstere waren die gefährlicheren, weil „klassenfremde Elemente“, sie wurden besonders geplagt, während sich die Kriminellen oft im Lager günstigere Positionen erobern konnten. Der kurze vierte Teil beleuchtet schließlich das Seelenleben der Gefangenen: manche bewahren Haltung, andere werden zu Verrätern, einige bewahren sich Menschlichkeit gegenüber den Mitgefangenen.
Was Solschenizyn beschreibt, hat er zum Teil selbst erlebt, zum Teil von anderen Gefangenen gehört. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, dass allgemein verbreitete Misstrauen verringern zu können, so dass ihm viel erzählt wurde. Fast alle Zustände und Begebenheiten werden anhand von Einzelfällen dargestellt. Diese Fülle an Einzelgeschichten führt zu vielen Wiederholungen und macht das Buch langatmig, führt jedoch dazu, dass einem das Ausmaß der Greueltaten erst klar wird. Natürlich stumpft man ab, wenn Solschenizyn wieder und wieder von Hunger, Erschöpfung und großen Mengen an Toten berichtet, aber wenn er schätzt, dass bis Stalins Tod 40-50 Millionen Menschen durch die Gulags geschleust wurden und viele davon gestorben sind (im Internet fand ich die Schätzung 20 Mio. Tote), ist das ein Weg, um die begrenzte Vorstellungskraft annähernd an die Größe des Verbrechens heranzuführen.
Die Länge des Werkes macht es zu einem mühseligen Buch, den dritten Band habe ich nicht mehr geschafft. Vom Stil her ist es nicht schwer zu lesen, die Ironie und der Zynismus machen es teilweise sogar unterhaltsam. Aber es gibt eben keine fortlaufende Handlung und die vielen Wiederholungen sind manchmal langweilig. Da es aber eine vom Autor autorisierte Kurzfassung in einem Band gibt, empfehle ich eher diese zu lesen. Insgesamt kann ich nur sagen: furchtbar grausam, aber sehr, sehr lesenswert.
26. Februar 2011