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Max Weber - Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus

Ganz leicht zu lesen ist das Buch nicht mit seinen ellenlangen Fußnoten und häufigem „Um-den-Brei-Reden“. Zumindest aus meiner Sicht muß man zwischendurch innehalten und sich zusammenfassend überlegen, was Weber eigentlich sagen will. Die Gedanken, die er präsentiert, sind jedoch hochinteressant. Er beginnt mit der Erläuterung seines Forschungsthemas, und zwar will er den auffälligen Zusammenhang zwischen Konfession und Bildung/Reichtum erklären, den man in Europa findet, insbesondere bezieht er sich auf eine 1901 erschienene Studie „Konfession und soziale Schichtung“ in Baden (M. Offenbacher).

Der „Geist des Kapitalismus“ wird im zweiten Abschnitt erläutert, wobei er allgemeine Habgier, wie sie in allen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen auftaucht, vom kapitalistischen Denken abgrenzt. Er zitiert Benjamin Franklin, der wohl als erstes „Zeit ist Geld“ sagte und früh Aussagen formulierte, die man heute als Geist des Kapitalismus ansehen kann. Ferner beschreibt Weber, wie das Streben nach Gewinn zum Selbstzweck wurde, wie also Arbeit nicht mehr als notwendig zum Überleben betrachtet wurde, sondern als Zweck an sich. Eine formal kapitalistische Ordnung geht nicht zwingend einher mit kapitalistischer Denkweise, diese beiden Dinge sind zu trennen. Der Geist des Kapitalismus hat dann aber, wo er sich durchgesetzt hat, zum modernen Kapitalismus geführt.

„Die Frage nach den Triebkräften der Expansion des modernen Kapitalismus ist nicht in erster Linie eine Frage nach der Herkunft der kapitalistisch verwertbaren Geldvorräte, sondern vor allem nach der Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Wo er auflebt und sich auszuwirken vermag, verschafft er sich die Geldvorräte als Mittel seines Wirkens, nicht aber umgekehrt.“ Weber geht auch auf den ursprünglichen Widerspruch zwischen Gewinnstreben und Gläubigkeit (Wucherverbot) ein. Hier kommt nun der Protestantismus ins Spiel. Luther übernahm als erster den Begriff Beruf auch für weltliche Tätigkeiten, vorher gab es das Wort Berufung nur im religiösen, mönchischen Sinne. Die Nähe der Begriffe Berufung und Beruf gibt es nur in protestantisch geprägten Ländern und Sprachen, sie läßt sich nicht sprachhistorisch erklären, sondern nur durch die explizite Übertragung der religiösen Berufung auf das weltliche Arbeitsleben. „(…) es bleibt (…) der Hinweis darauf, daß die Erfüllung der innerweltlichen Pflichten unter allen Umständen der einzige Weg sei, Gott wohlzugefallen, daß sie und nur sie Gottes Wille sei und daß deshalb jeder erlaubte Beruf vor Gott schlechterdings gleich viel gelte.“ Weber stellt aber klar, daß das kapitalistische Denken nicht auf Luther zurückzuführen ist, der nahe an der katholischen Tradition ist, was das Gewinnstreben angeht. Schon bald nach der Reformation taucht der „Schickungs“-Gedanke auf: Man kann mit jedem Beruf selig werden und jeder sollte in dem Beruf und Stand arbeiten, in den ihn Gott gestellt hat. Der Beruf darf indes gewechselt werden bei Calvin, wenn man dadurch seine Fähigkeiten besser zum Ruhme Gottes verwendet und solange man niemand anderes dabei schadet. An dieser Stelle finden wir den gleichen Gedanken wieder, den Adam Smith propagierte: Arbeitsteilung und Spezialisierung dient dem allgemeinen Wohl, wenn dadurch die Arbeitsleistung gesteigert wird (quantitativ oder qualitativ).

Im nächsten Abschnitt werden nun die einzelnen protestantischen Strömungen dargestellt und wie sie zu kapitalistischem Denken geführt haben bzw. nicht. Die feinen Unterschiede zwischen Calvinisten, Lutheranern, Puritanern und anderen kannte ich bisher nicht, und auch wenn diese nicht mit theologischem Hintergrund, sondern mit Bezug zum Kapitalismus erläutert werden, ist dieser Abschnitt sehr aufschlußreich. Zwei unterschiedliche Gottesvorstellungen tauchen auf: den gnädigen Vater des Neuen Testaments (überwiegt bei Luther) sowie der willkürlich waltende „Deus absconditus“ (überwiegt bei Calvin). In letzterem Fall steht alles fest, also zum Beispiel wer errettet wird. Die Tätigkeit des Menschen ist in diesem Fall darauf ausgerichtet, den Ruhm Gottes zu fördern und hier kommt die Prädestinationslehre auf: Man will auf Erden zeigen, daß man zu den Erwählten gehört und das ununterbrochen. Mangelnde Heilsgewißheit wird als unzulänglicher Glaube interpretiert und Zweifel als eine Anfechtung des Teufels. Die ständige Selbstkontrolle führt nun zu dem kapitalistischen Denken, daß der Erwählte Erfolg haben muß, und damit zu einem durchrationalisierten Leben (nach dieser Methode der ganzen Lebensführung benennen sich die Methodisten). Die Folge sind sehr selbstgewisse, strebsame Persönlichkeiten, Demut ist keine Tugend, wie sie es bei der Vorstellung eines gütigen Gottes ist. „Denn diesem Gottesgnadentum der Erwählten und deshalb Heiligen war angesichts der Sünde des Nächsten nicht nachsichtige Hilfsbereitschaft im Bewußtsein der eigenen Schwäche, sondern der Haß und die Verachtung gegen ihn als einen Feind Gottes, der das Zeichen ewiger Verwerfung an sich trägt, adäquat.“ Es bildeten sich Sekten, die alle ausschlossen, die als Verworfene angesehen wurden. Diesen Eindruck zu erwecken, mußte also um jeden Preis vermieden werden, wodurch die rationalisierte Lebensführung sich zu einer ins Weltliche transferierten mönchischen Askese entwickelte. Dadurch verliert der Priester/der Mönch seine besondere Stellung und die Erwählung hängt nicht vom theologischen Wissen ab. Ein weiterer Nebeneffekt war die Entzauberung der Religion, der Entfernung als Magischen, d.h. die Entwertung der Sakramente und der Kirche als Institution. Buße, die Luther noch propagiert, hat keine Begründung mehr, weil ja bereits über das Heil entschieden ist.

Die christliche Askese wird nun bei Puritanern und Calvinisten unterschiedlich gehandhabt: Während bei ersteren jedes Streben nach zeitlichen Gütern schlecht ist, wird Reichtum bei jenen als Ausdruck ihres Heils angesehen. Wichtig sind dabei zwei Punkte: Niemand darf sich auf dem Reichtum ausruhen, auch der Reiche muß arbeiten. Und man darf den Reichtum nicht für irrationalen Genuß verwenden. Hier kommt Weber noch einmal zurück auf die Berufswahl. „Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte.“ Von daher sind Tagelöhner verwerflich, wie es ja auch Bettler sind, weil sie gar keinen Beruf haben. Unternehmer sein zählt dagegen als Beruf und hier, am Ende seiner Ausführungen, übt Weber Kapitalismuskritik: Wegen ihrer Religion arbeiteten die Menschen fleißig und auch bei niedrigen Löhnen. Dadurch begann die Ausbeutung durch mächtige Menschen. Inzwischen ist der religiöse Hintergrund zwar weitgehend verschwunden, aber die Strukturen haben sich verselbständigt.

Das Buch ist sehr vielschichtig und ohne gute Kenntnisse über die Hintergründe der einzelnen protestantischen Strömungen kann ein einfacher Leser wie ich natürlich nur Teile von Webers Gedanken behalten. Aber die Lektüre war unerwartet abwechslungsreich und interessant und ich habe brutto nur drei Wochen an dem Buch gelesen – trotz zwischenzeitlichen Reisen.

22. Juni 2009