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Max Frisch - Stiller

1954 erschien dieser Roman von Max Frisch und behandelt ein Thema, das ihn auch im 10 Jahre später erschienenen "Mein Name sei Gantenbein" noch nicht losgelassen hat. Es geht um das Spiel mit der Identität – ist man eine Person oder vielleicht doch eine andere?

Stiller schreibt eine Art Tagebuch in der Untersuchungshaft – in die er gekommen ist, weil mehrere Leute in ihm den zuvor 6 Jahre verschwundenen Bildhauer Anatol Stiller erkannt haben, während er sich als ein Amerikaner namens White ausgibt. Immer wieder rätselt der Leser, ob der Tagebuchschreiber nun Stiller oder White ist, bevor klar wird, dass Stiller nur sein früheres Leben nicht als sein eigenes ansieht, es nicht wieder an- und aufnehmen will. „White“ lässt sich Stillers Lebensgeschichte von diversen Menschen aus dessen Leben berichten und berichtet somit wie ein Außenstehender von diesem Leben. Dabei wird die Schweizer Spießigkeit gelegentlich aufs Korn genommen und Amerika sehr positiv dargestellt. Wenn „White“ mal wieder daran verzweifelt, dass ihn niemand als White ansieht, sondern alle ihn als Stiller betrachten, kommt der Leser wirklich ins Grübeln, wie es wäre, wenn einen alle anderen Menschen für einen anderen hielten als man tatsächlich wäre. Wie könnte man dann die Menschen von seiner Identität überzeugen? Eine knifflige Frage. Auf der anderen Seite ist die Überlegung, dass sich hier jemand seine eigene Lebensgeschichte erzählen lässt, irgendwie verrückt.

Das Buch ist lebendig, weil mit der Möglichkeit gespielt wird, dass es sich um mehr als eine Person handeln könnte, aber auch weil die Episoden so lebhaft und teilweise aus zwei verschiedenen Sichtweisen berichtet werden. Ohne ein gewisses Interesse an der philosophischen Fragestellung, was Identität sei, wird man aber vermutlich wenig Freude an dem Buch haben, denn es ist sicherlich keine leichte Lektüre. Mit hat es Freude gemacht.

24. Januar 2010